Ölauktionen, Lecks und die Energiewende

Thema:

Die Juristin Nicole Figueiredo de Oliveira, Direktorin des Instituto Internacional Arayara, gilt als eine der profilierten Stimmen für Klimaschutz in Brasilien. Im Podcast Ambiente e o Meio spricht sie über Ölauktionen, Unfälle bei Petrobras und Wege zu einer gerechten Energiewende.

Öl für den Preis eines Kleinwagens

Die nationale Regulierungsbehörde ANP versteigert Öl- und Gasfelder inzwischen laufend. Mehr als 1.000 Blöcke stehen im Angebot. Die Preise sind niedrig: Ein Feld im Parecis-Becken wurde für nur 55.000 Reais (ca. 10.000 Euro) verkauft.

Oliveira kritisiert: „Wie kann ein Betrag in der Höhe eines Mittelklassewagens reichen, um ein mögliches Leck oder eine Katastrophe zu kompensieren?“

Schon ein sogenanntes „Mikro-Leck“ bedeutet mindestens 50.000 Liter Öl im Meer.

Petrobras: 23 Lecks in zwei Jahren

Petrobras, Brasiliens staatlicher Ölkonzern, verzeichnete allein in den letzten zwei Jahren 23 Öl-Lecks – weltweit ein Spitzenwert.

Die Folgen sind sichtbar: Teerverklebte Vögel stranden an der Küste, der Meeresboden wird vergiftet, Fische und Garnelen verschwinden, Mangroven – Kinderstuben vieler Arten – sterben ab, Korallenriffe werden durch Ölfilme zerstört.

Gefahr im Amazonasdelta

Besonders umstritten ist Block 59 im Foz do Amazonas, nahe Belém. Seit über zehn Jahren ringt Petrobras um eine Lizenz. Ein Unfall dort hätte katastrophale Folgen. Strömungen könnten Öl binnen Stunden über hunderte Kilometer verteilen. Fischerfamilien verlören ihre Existenz, bedrohte Delfine, Seekühe und Schildkröten ihren Lebensraum.

„Wenn ein Unfall geschieht, trifft es nicht nur den Ozean – es trifft auch die Teller der Menschen, die von Fisch leben“, warnt Oliveira.

Ölreichtum ohne Wohlstand

Trotz milliardenschwerer „Pré-Sal“-Investitionen brachte die Erdölförderung kaum soziale Entwicklung. Rio de Janeiro, Zentrum der Branche, steckt tief in Schulden. Schulen und Krankenhäuser mussten schließen.

„Ölreichtum bedeutet nicht automatisch Fortschritt – im Gegenteil, er kann Krisen vertiefen“, so Oliveira.

Erneuerbare: Chancen und Risiken

Brasilien hatte einst fast 100 Prozent erneuerbaren Strom, vor allem aus Wasserkraft. Heute wächst der Anteil fossiler Energien wieder. Oliveira fordert den Ausbau sauberer Alternativen – warnt aber vor blindem Aktionismus. Windparks etwa können Dünenlandschaften versiegeln oder Küstengemeinden vertreiben.

Ihre Vision: Saubere Mobilität durch Biokraftstoffe und E-Autos, regionale Strategien, die Arbeitsplätze schaffen, ohne Natur zu zerstören, Plastik-Alternativen, die die Abhängigkeit vom Öl mindern.

Geld ist da – aber falsch verteilt

Oft wird behauptet, Brasilien müsse Öl fördern, um Entwicklung zu finanzieren. Oliveira widerspricht: „Wir haben ein Bruttoinlandsprodukt, das ausreicht. Was fehlt, ist die Entscheidung, Geld nicht länger in fossile Subventionen zu stecken.“

Über den Fonds CDE fließen Milliarden in fossile Energien – während Brasilianer einen der weltweit höchsten Strompreise zahlen. Eine Umlenkung könnte erneuerbare Projekte finanzieren und Energie günstiger machen.

Bürger machen Politik

Politik sei nichts Fernes, betont Oliveira: „Wir alle sind politische Akteure – selbst, wenn wir nur unsere Stromrechnung bezahlen.“

Proteste zeigen Wirkung: In Brasília verhinderten Anwohner eine Gaskraftanlage, auf Fernando de Noronha stoppten Initiativen fossile Infrastruktur.

Nicole Oliveira zeichnet ein klares Bild: Ölauktionen zu Dumpingpreisen, ein Staatskonzern mit Weltrekord an Lecks, Projekte im Amazonasdelta mit unkalkulierbaren Risiken – und gleichzeitig ein Land voller Chancen für eine gerechte Energiewende.

„Wir stehen an einer Kreuzung: Entweder wir bohren tiefer ins Meer – oder wir graben zu den Grundlagen für eine saubere Zukunft.“

Ölplattform vor Rio de Janeiro, Foto: Donatas Dabravolskas / Depositphotos / IMAGO